Ohne Zeigefinger

Stettener Figurentheater Inflagranti macht alles in Eigenregie

Kernen.
Die vierzehn Stufen, die zu einem Stettener Gewölbekeller hinunterführen, sind steil und feucht. Eine Tür geht auf, und der Blick fällt auf die Theaterkulisse von Matz Maulwurf. "Hier unten proben wir unsere Stücke", sagt Matthias Daur, während er die Kulisse des Gärtners Pötschke betritt. Das dreiköpfige Ensemble des Figurentheaters Inflagranti macht alles in Eigenregie. Das Büro des Gärtners Pötschke haben Judith Artmann, Steffen Wilhelm und Matthias Daur selbst gezimmert, tapeziert, gestrichen und eingerichtet. Kennengelernt hat sich das Trio während des Studiums an der Fachhochschule für Sozialwesen in Freiburg. Dort sammelten sie erste Erfahrungen im Puppenspiel, schrieben die erste dramaturgische Handlung nach einer Jerry-Cotton-Vorlage und sind seither mit dem Theatervirus infiziert.
Zwischenzeitlich sind fast zehn Jahre vergangen, und von der "anrüchig, frivolen Jerry-Cotton-Inszenierung" sei nur noch der Name der Truppe geblieben, erzählt Judith Artmann. Auch vom reinen Puppenspiel hat sich das Dreierteam entfernt. Zur Requisite gehören neben Puppen ebenso Figuren. Auf einem Tisch liegt ein ausrangierter grünlackierter Schuh, dessen Schuhsohle sich wie ein Mund öffnen und schließen läßt. Damit ermöglicht sich das Dreier-Team weitere Spiel- und Handlungsräume. Geprobt wird nur in der Freizeit. Regie führt Judith Artmann. "Etwa ein Jahr dauerten die Arbeiten am Maulwurf Matz", erzählt Steffen Wilhelm und nimmt den possierlichen Buddler der Dunkelheit in die Hand. "Das Stück ist eine Kombination zweier Theaterformen: dem Figurenspiel und dem Schauspiel", betont Matthias Daur und deutet auf das Büro des Gärtners, dessen Fenster einen Ausblick in den Garten bieten. "Es wird getragen vom Wechselspiel, das sich zwischen diesen beiden Spielebenen ergibt." Einen Spagat wagt das Trio mit dem "Familienstück", indem sie Erwachsene als auch Kinder ansprechen wollen.Inflagranti - die Stettener Puppenspieler locken mit der Rübe. Der frisch verliebte Gärtner Pötschke (gespielt von Matthias Daur), der sich beim Turteln gar hölzern anstellt, soll das Elternpublikum ansprechen. Klar und übersichtlich sind Handlung und Spielfiguren der Kinderspielebene. Ein Beispiel: Vom Buddeln und Graben hat der Maulwurf Matz die Nase gestrichen voll. Er liegt lieber auf dem Maulwurfshügel vor dem Büro des Gärtners und läßt sich die Sonne auf den wuscheligen Pelz scheinen. Einmal fliegen, die Welt von oben sehen, das ist sein Traum. Durch die tatkräftige Unterstützung der Maus Priscilla gelingt es, den Wunsch in die Tat umzusetzen. Inflagranti - auf frischer Tat ertappt das Publikum die Sehnsüchte und Träume des spielenden Personals. Bei einer Aufführung im evang. Gemeindehaus schloß das Publikum der Kleinen den Sympathieträger Matz schnell ins Herz...
Inmitten der Puppen und Figuren findet sich auch ein Kasper. Eher selten ist er im Repertoire des Figurentheaters zu sehen. Daur:" Der Kasper ist ein armer Kerle, der pädagogisch mißbraucht wurde." Moralisierende Besserwisserei und den pädagogischen Zeigefingerzeig haben die drei jungen Leute in der Mottenkiste verstaut. Sie wollen Geschichten erzählen, die Spaß machen und jung und alt bezaubern. Mit demBühnenvirus sind sie infiziert. Eine Heilung ist nicht mehr möglich. Linderung verschafft sich das Trio nur, wenn sie im Gewölbekeller neue Bühnenstücke schreiben und inszenieren.
(Waiblinger Kreiszeitung vom 30.5.1998)


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