Vom Glück der Stettener Puppenspieler

Matthias Daur und Steffen Wilhelm, die Meister von "inflagranti"

Kernen-Stetten.
"Puppen, das sind uns ganz lieb gewordene Geschöpfe", sagt Matthias Daur mit ernster, einfühlsamer Miene, die im Nachsatz gleich wieder in ein lausbübisches Lächeln wechselt. "Wir sind die ja, und die sind wir. Wir leben von denen und die von uns." Wir, das ist das Puppenspielerduo Matthias Daur und Steffen Wilhelm, als figurentheater "inflagranti" seit 1994 eine Stettener Institution. Jim Blau und Rosa Rot, Matz Maulwurf, Julius Himmelblau, mit diesen Geschöpfen, die in verblichenen, alten Reisekoffern in Steffen Wilhelms umfunktionierter Garage auf den Einsatz warten, ziehen die Puppenspieler über Land. Den Anhänger ans Auto gespannt. Die Plastikhelden aus einem Repertoire, das inzwischen sechs selbst geschriebene Kinderstücke umfasst, seien "jederzeit abrufbar", wie Matthias Daur versichert 40 bis 50 Hand- und Stabpuppen gehören dazu -Kreaturen, die, abgesehen vom unverwüstlichen Kasperle, witzige Kopfgeburten der Stettener Theatermacher sind. Nur "Der Hasenhüter und die Königstochter" lehnt sich an ein Märchen von Ludwig Bechstein an. Die zwei erfinden Geschichten, basteln Puppen und Szenenbilder, organisieren Musik und Beleuchtung. "Wir spielen alle Figuren und Stücke parallel," sagt Daur. Wobei er Wert auf den Begriff "Figurentheater" legt. Bei "inflagranti" tummeln sich nämlich längst Wesen im Guckkasten, die mit Menschen wie Du und ich nichts gemein haben: ein sprechender Schuh zum Beispiel oder ein Esel.Matthias Daur und Steffen Wilhelm mit ihren zwei größten Puppen: Hermann Bert und Herbert Mann.
Begehrt sind Diakon Matthias Daur (37) und der Sozialarbeiter Steffen Wilhelm (35) nicht nur bei Kindern. Im Brotberuf betreuen die zwei - überzeugte Stettener übrigens - behinderte Menschen in der Diakonie. Auch die ihnen Anvertrauten zählen zum Stammpublikum. Im heimelig eingerichteten Gewölbekeller in der Mühlstraße 11 genießt "inflagranti" beim Stettener Straßenfest Heimrecht. Doch der Aktions-Radius reicht längst viel weiter: Im Münchner Raum, im Unterland, in Reutlingen, im Schwarzwald turnten Jim Blau und Julius Himmelblau auf dem Bühnenbalken. Beim internationalen Puppentheater-Forum in Niederösterreich trat "inflagranti" auf.
Figur und Spieler, sie verbindet eine enge symbiotische Beziehung. Nicht nur, weil der Spieler anders als beim Marionettentheater mit dem Stoffkörper seines Helden physisch eins wird, seine Bewegungen hinter den Kulissen mitmacht und die Figur dabei unablässig im Blick hat. "Unbewusst kommen auch unsere Charaktere zum Tragen", sagt Matthias Daur. "Meine Lieblingsfigur ist der Kasper; der hat auch sehr viel von mir. Dann die Priscilla, die ist so herrlich frech. Natürlich kann man sich als Puppenspieler hinter der Bühne auch verstecken. Das ist die andere Seite." Steffen Wilhelm, der dem Freund Matthias die "extrovertierten Rollen" im Guckkasten zuspricht, sortiert sich selbst bei den eher "zurückhaltenden" ein. Ein Temperamentsunterschied. Woher die Passion fürs Figurentheater? "Man darf selber Kind sein, man kann sich ausleben, in Rollen schlüpfen, kreativ sein", sagt Wilhelm. Ihm mache es halt Spaß, ganz wie der Fasnetsnarr, der ausnahmsweise mal fremde Kleider anzieht, für einen Auftritt die Stoffhaut der Puppe überzuziehen. Matthias Daur, dessen komödiantisches Talent auch außerhalb der Bühne aufblitzt, sieht sich selbst als Schauspieler. In bewusster, experimenteller Weiterentwicklung des Figurentheaters lassen die zwei Stettener nämlich nicht nur Puppen sprechen, sie agieren, wie in "Matz Maulwurf oder Der Traum vom Fliegen" in persona selber auf einer zweiten Spielebene. Daur ist das wichtig.
Wenn sie vor Kindern spielen, sitzen Eltern im Publikum. Ein eigenes Erwachsenentheater hat "inflagranti" noch nicht im Programm. Das wollen die zwei Stückeschreiber als Nächstes anpacken. Es geht den Akteuren aber nie vorrangig um den pädagogischen Zeigefinger, auch wenn das Spiel immer eine Botschaft mit tranportiere. "Unsere Hauptabsicht ist Spaß und Unterhaltung", sagt Daur. "Das soll ein Feuerwerk sein."
Wobei Spontaneität und Rückmeldungen eher Sache der Kinder sei. "Wir wollen mit dem Publikum interagieren. Wir sind eingespielt. Spontaneität ist da ganz wichtig", so Daur. Steffen Wilhelm ergänzt: "Kinder sind das unmittelbarere Publikum. Die werden unruhig, wenn es sie langweilt. Erwachsene bleiben immer höflich." Und halten dann starr und beherrscht durch.
Ans Puppenspiel geraten sind die Stettener Jugendfreunde beim gemeinsamen Studium an der Freiburger Fachhochschule für Sozialwesen Ende der 80er. Der Lehrbeauftragte, ein vom "Puppenspiel Angefixter", wie Matthias Daur sagt, habe sie ermutigt, im Wahlfach das Thema aufzugreifen. Die Stettener beschlossen, mit ihren Diplomarbeiten das Figurentheater von der Theorie her zu beleuchten, wälzten kistenweise Bücher aus der Landesbibliothek Stuttgart, ohne dass es ihnen den Heißhunger aufs Machen verdarb. Damals entstand das erste gemeinsames Stück: "Gemeinsam sind wir bunt" . die Lehrparabel mit Jim Blau und Rosa Rot zum Motto "Nehmet einander an".
Ein gutes Figurentheaterstück muss reifen: Von der Idee zur Premiere vergeht in der Regel ein Jahr. Einmal, als die Umsetzung eines Regiebuchs plötzlich an unerwartete Hindernisse stieß, musste die Uraufführung verlegt werden. Kein Beinbruch.
Die beiden Famlienväter würden - trotz aller Theaterleidenschaft - den Brotberuf in der Diakonie dem Steckenpferd nicht opfern. "Man könnte davon leben", sagt Steffen Wilhelm, "es gibt ja Profis, aber die Konkurrenz ist sehr hart. Ich bin froh, dass ich eine geregelte Arbeit habe." Warum betreibt man nun Kindertheater? Was gibt den Kick? "Man bekommt sehr direkte Erfolgserlebnisse", verrät Wilhelm. " Strahlende Kindergesichter, Applaus. Das ist beglückend. Man kriegt da viel Bestätigung." (Waiblinger Kreiszeitung 5.2.2005)


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