Ein Hase als Helfer und die Zuschauer als Zwerge


Beim Stettener Figurentheater Inflagranti spielt auch das Publikum mit - Neues Stück im uralten Gewölbekeller

KERNEN. Seit Monaten tüfteln Steffen Wilhelm und Matthias Daur am neuen Stück für ihr Figurentheater Inflagranti. Bei der Premiere von "Der Hasenhüter und die Königstochter", einer Adaption des Bechstein-Märchens, wurde rasch deutlich: die Arbeit hat sich gelohnt.
Dutzendweise fliegen die putzigen kleinen Stoffhäschen von der Bühne in Richtung Publikum. Und der arme Schäfer muss sie alle einfangen. Denn er will ja die etwas schrullige Königstochter Mirabelle heiraten. Klar gelingt es dem findigen Kerlchen, nicht nur die erste der drei Aufgaben zu lösen, das Hüten der 100 Hasen. Denn dem Schäfer steht der Märchenerzähler bei, ein großes Stofftier mit Schlappohren, ein Hase als Helfer in der Not. Und auch das Mütterchen, das dem Schäfer das Zauberpfeifchen zusteckt. Die Semiprofis Steffen Wilhelm und Matthias Daur aus Kernen-Stetten gewinnen mit ihrem neuen Stück "Der Hasenhüter und die Königstochter" im Nu nicht nur die kleinen, sondern auch die großen Besucher der Premiere im uralten Gewölbekeller in der Mühlstraße. Das ist bemerkenswert, denn mitunter langweilen sich Eltern doch ganz gewaltig, wenn sie ihre Sprösslinge ins Puppentheater begleiten. Das ist bei lnflagranti ganz anders. Das Märchen von Ludwig Bechstein ist witzig umgesetzt, lnflagranti schafft es immer wieder, kurze Szenen ins Stück einzubauen, die die Kinder im Trubel der Aufführung nicht mitbekommen, die die Erwachsenen aber schmunzeln lassen. Etwa wenn es heißt, der König wolle seine Tochter verheiraten, um endlich in Rente zu gehen. Wilhelm und Daur kennen sich seit Kindergartentagen, Mitte der neunziger Jahre haben sie das Puppentheater lnflagranti gegründet. Auch früher sind in ihren Stücken nicht nur Puppen aufgetreten. Doch im neuesten Stück entfernt sich das Duo noch mal ein Stückchen weiter vom reinen Figurentheater, beide Akteure treten auch als Schauspieler auf. Wilhelm mimt mit großer Spielfreude den Schäfer. Und Daur zeigt eine wahre Verkleidungsorgie. Mal tritt er als Königstochter mit einer ziemlich scheußlichen Perücke auf, mal als Bauer auf einem Esel und mal als Wächter mit Pickelhaube. Die Perücke wurde erst vor ein paar Tagen im Internet bei Ebay ersteigert, der Kopfschmuck des Wächters stammt aus den Regalen von lkea: ein Sieb und ein darauf gesteckter Trichter. So einfach kann es sein, Requisiten zu beschaffen. Die Puppen, etwa das Mütterchen, fertigen die beiden Partner in Heimarbeit selbst an. "Der Hasenhüter und die Königstochter" fordert auch das Publikum. Mal sind die Gäste der Vorstellung die Herde des Schäfers. Mal müssen sie Bergzwerge sein, diese Wichte helfen der um die Hand der Königstochter buhlenden Gestalt beim Auspusten des lodernden Feuers, in das der Schäfer vom Wächter geschmissen worden ist. Zu guter Letzt müssen die Zuschauer auch noch tun, was eigentlich strikt verboten ist: nämlich lügen. Und zwar so lange, bis ein Sack, den der König trägt, brechend voll ist. "Ein sprechender Hase hat mir ein Märchen erzählt", ruft der Schäfer - und der Sack beginnt sich zu füllen. "Der König hat den Esel unterm Schwanz geküsst" - hat er tatsächlich, allerdings verkleidet als Bauer. Am Ende weiß niemand mehr so recht, was nun gelogen ist und was stimmt. Jetzt geht es bei lnflagranti zu wie im richtigen Leben. Die meisten Kinder jedenfalls sind glücklich, dass der Schäfer am Ende die Königstochter endlich heiraten darf. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann küssen sie noch heute, sagt der Erzählhase. Eine Mutter im Publikum indes bedauert den findigen Tierhüter, der nun ein so schrulliges Weib wie diese Mirabelle tatsächlich ehelichen muss.


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